Zur Veranstaltung im Januar

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„Willkommen! Und dann?“ – unter diesem Motto diskutierten Gisela Erler, im Ehrenamt Staatsrätin der Landesregierung für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, der Plochinger Bürgermeister Frank Buß, der Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz, und Gottfried Gienger, Koordinator des Plochinger Lokalen Bündnisses für Flüchtlinge, auf Einladung der Offenen Grünen Liste Plochingen über die Rollen von Land und Kommunen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Wie groß die Herausforderung ist, machte eingangs der Plochinger Bürgermeister Frank Buß deutlich: „Durch die Kriege in Syrien und im Irak kommen Flüchtlingszahlen, wie wir uns das vor zwei Jahren noch nicht vorstellen konnten.“ Die staatlichen Institutionen seien nicht darauf vorbereitet, so viele Menschen in so kurzer Zeit aufzunehmen und professionelle Strukturen zur  Bewältigung fehlten weitgehend. Die Landratsämter und Kommunen arbeiteten „seit Monaten im Krisenmodus“ und müssten Personal für die Bewältigung der Aufgaben einsetzen, dass eigentlich mit anderen Aufgaben ausgelastet sei. Für den Wohnungsbau (Anschlussunterbringung) und eine gelingende Integration müssten jetzt Millionenbeträge aufgewendet werden.

Hier sieht Buß vor allem Bund und Land in der Pflicht. Die Konsequenz für Buß: „Es wird ein Stück unseres Wohlstands kosten und wir müssen alle ein bisschen raus aus der Komfortzone“. Das bedeute auch, dass man sich jetzt neu über gewisse Prioritäten und Anspruchsniveaus verständigen müsse, z.B. ob für alle Neubauten die hohen energetischen Anforderungen Anwendung finden müssten und ob die hohen Hürden und langen Fristen bei der Ausweisung von Neubaugebieten beibehalten werden könnten. Alles in allem sieht Buß „Anlass zur Sorge, aber auch viel Motivation“, den Herausforderungen gerecht zu werden, gerade auch bei den vielen ehrenamtlichen Helfern.

Der grüne Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz sieht es angesichts unseres Privilegs, in Frieden und Freiheit zu leben, als humanitäre Pflicht, Menschen, die vor Kriegen und politischer Verfolgung flüchten, Schutz und Aufnahme zu gewähren: „Keiner verlässt seine Heimat einfach so!“ Gleichzeitig müssten aber Fluchtursachen in den Blick genommen werden und Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive möglichst direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeschoben werden.

Schwarz sieht die Kommunen sowohl bei der Unterbringung als auch bei der Integration in einer Schlüsselrolle. Zur finanziellen Bewältigung der Herausforderung meinte er: „Wir müssen jetzt natürlich auch über die Kosten für die Anschlussunterbringung reden“. Ein Sonderbauprogramm für Flüchtlingswohnraum sei von der Landesregierung bereits aufgelegt und zusätzliche Investitionen z.B. für den Ausbau von Kitas und Schulen sowie Sonderabschreibungen für private Neu- oder Umbauten seien angedacht.

Gottfried Gienger, der Koordinator des Lokalen Bündnisses für Flüchtlinge in Plochingen, berichtete, dass es den Plochinger Flüchtlingen insgesamt gut gehe. Sie fühlten sich in Plochingen wohl, nähmen die zahlreichen Angebote der Ehrenamtlichen (Sprachhilfe, Sprachcafé, Spielenachmittage, Trommel- und Salsagruppe) gerne an und würden von Besuchern aus anderen Aufnahmeeinrichtungen zum Teil beneidet. Viele seien hochmotiviert und manche belegten schon ihren dritten oder gar vierten Sprachkurs. Einige Syrer hätten auch bereits ihre Anerkennung und hätten mit Hilfe der Ehrenamtlichen sogar schon Wohnungen gefunden.

Gienger sieht aber auch Probleme: es komme z.B. wegen Sprach- und Schriftproblemen zu Fehlern bei der Erfassung persönlicher Daten oder es fehlten aus den unterschiedlichsten Gründen Ausbildungs- oder Tätigkeitsnachweise, was zu Schwierigkeiten bei der angestrebten Arbeitsmarktintegration führe und die begleitenden Ehrenamtlichen massiv fordere. Sie seien z.T. „Dauergäste“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, bei der Arbeitsagentur oder im Jobcenter.

Zusammenfassend meinte Gienger: „Ich glaube, ohne uns Ehrenamtliche würde es nicht funktionieren!“ Gienger wünscht sich konkret, dass trotz der erwarteten Neuzugänge der Raum für die Kleiderkammer im ehemaligen Hotel Prisma erhalten bleibt und dass auch ein Besprechungszimmer eingerichtet wird. Außerdem mache der bisher angewendete Teiler von einer Stelle pro 600 Flüchtlinge für die Finanzierung hauptamtlicher Koordinatoren der ehrenamtlichen Helfer für eine Gemeinde von der Größe Plochingens schlicht keinen Sinn.

Gisela Erler, ehrenamtliche Staatsrätin der Landesregierung für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, beschäftigte sich in ihrem Beitrag vor allem mit der durch die Übergriffe von Köln ausgelösten Diskussion. Die Reaktionen reichten von echter Verunsicherung bis zur ungeschützten Äußerung von schierer Fremdenfeindlichkeit. Erler hob hervor, dass es in Baden-Württemberg außerhalb der großen Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes kaum Vorfälle mit Flüchtlingen gebe.

Um auch zur kulturellen Integration von Flüchtlingen beizutragen, will sie unter anderem eine Broschüre mit einfachen, bildhaften Darstellungen zu wichtigen Themen auflegen: dazu rechnet sie z.B. die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Deutschland, das auch innerfamiliär absolute Gewaltverbot oder die Norm der Einehe unter Volljährigen: „Wir müssen den Flüchtlingen im Gespräch auch erklären, wo unsere roten Linien sind“.

In der anschließenden Diskussion kamen unter anderem Sorgen um die Sicherheit zur Sprache und die Tatsache, dass Flüchtlinge häufig „zum Nichtstun verdammt“ seien. Ehrenamtliche wiesen darauf hin, dass sich viele Flüchtlinge, die von den Übergriffen in Köln erfahren hätten, schlicht und einfach schämten und dass aus diesem Grund etwa Wendlinger Flüchtlinge spontan Blumen am Wendlinger Bahnhof verteilt hätten.

 

v.l.n.r: Frank Buß, Gisela Erler, Andreas Schwarz, Brigitte Friederich, Gottfried Gienger